Kaltes, grelles Licht, umrahmt von grauem Stahl. Wie eine längst verblichene Erinnerung an bessere Zeiten erstrahlt der Schriftzug eines Jahrmarkts. Die Form der Skulptur ist eine Referenz an den Hamburger DOM, ein mehrmals im Jahr stattfindendes Volksfest in der Hamburger Innenstadt. Im Unterschied zu seinem Vorbild, das sich über den Köpfen seines Publikums befindet, steht diese Skulptur auf dem Boden. Weiße Sandsäcke beschweren die metallenen Buchstaben, die sich barriereartig vor den Betrachter*innen aufzubauen scheinen. Trotz des kühlen Lichts der LED-Lampen spiegeln sich in der Skulptur noch Spuren jener farbenfrohen Verheißung, die den Jahrmarkt als Ort des Konsums und der Ablenkung preisen. Durch ein Wortspiel verändert sich jedoch die Bedeutung: Wo einst eine Ankündigung zur Vorfreude stand, befindet sich nun Unbehagen.
Merlin Reicharts Skulptur „DOOM“ liegt wie ein drohendes Versprechen im Raum. Das englische Wort „doom“ taucht seit den frühen 90er Jahren immer wieder als Begriff in der Jugend- und Popkultur auf. Während es seit 1993 vor allem mit dem gleichnamigen Ego-Shooter in Verbindung gebracht wurde, findet es heutzutage Einzug in die Meme-Kultur oder wird beim „Doomscrolling“ zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Im Unterschied zur Nachkriegsgeneration, die mit der Euphorie eines Aufschwung-Narrativs herangewachsen ist, hat die heutige Jugend Schwierigkeiten, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Die Klimakatastrophe, wachsende soziale Ungerechtigkeit und der Ausbruch eines neuen Kriegs in Europa prägen zunehmend die Medienlandschaft.
Exzessives Konsumieren dieser ungefilterten Nachrichten kann nachweislich starke Gefühle der Angst, der Lähmung und Überforderung hervorrufen. Diese andauernde, vor allem digital stattfindende Auseinandersetzung mit dem drohenden Untergang wird zum Bewältigungsmechanismus, zur Lebenseinstellung, welche die Skulptur in ihrer reduzierten Plakativität zu erfassen scheint. In ihrer nachgestellten Funktion als Logoreklame funktioniert sie außerdem als eine Schwelle zwischen zwei Orten. Auf der einen Seite der Jahrmarkt als eskapistischer Zufluchtsort – auf der anderen der öffentliche Raum als unheilvolle Zukunft. Ein Verharren an diesem Zwischenort unterstreicht umso mehr das Gefühl der Machtlosigkeit und eines um sich greifenden Nihilismus.
Gleichzeitig stellt dieser Raum aber auch einen Ort der Zusammenkunft und der jugendlichen Gemeinschaft dar, die sich aus Mangel an geeigneten Orten für sie zu diesen Plätzen hingezogen fühlt. Solche Zusammenkünfte ermöglichen Momente der Solidarisierung und gegenseitiger Ermächtigung, aus denen sich der Mut und das aktivistische Potenzial entfalten, sich gegen dystopische Visionen zu stellen und die Zukunft einzufordern.
„DOOM“ thematisiert das Loslassen von Ablenkung und Projektionen und stellt sich konfrontativ gegen die Normalisierung des Status Quo. Fernab von Ideologien und Heilsversprechen durch immer neue Technologien, verkörpert die Installation eine Haltung, aus der Zuversicht entstehen kann. Zwischen trügerischen Wohlstandsversprechungen und scheinbar hoffnungsloser Realität bietet die Skulptur einen neuen Ansatz zur Bewältigung der Gegenwart.
Katrin Krumm
2023