“The old world is dying and the new world struggles to be born. Now is the time of monsters.”
Antonio Gramsci
Time of Monsters – es ist die Zeit der Monster, Zeit für Ungeheuerlichkeiten, Gefahr im Verzug, so suggeriert es der Titel von Merlin Reicharts Einzelausstellung in der Galerie Oelfrüh. Ist das eine Prophezeiung, ein dunkles Omen, eine Einladung?
Merlin Reicharts installative Settings speisen unmittelbare physisch-sensorische Erfahrungen und sind aus dem gegenwärtigen Puls der Zeit genährt. Den politisch-sozialen Zerwürfnissen unserer Zeit vorfühlend, spürt er den sich anbahnenden Beben nach wie ein Seismograph. Dabei integriert er die Betrachtenden in situativen Räume, verpflichtet sein Publikum sich zu verhalten, provoziert Aktion und Reaktion.
Nicht anders hier in Time of Monsters, einer Ausstellung, deren Narrativ sich im räumlichen und inhaltlichen Spannungsverhältnis zweier Elemente entfaltet.
Auf der einen Seite ein Fries menschlicher Handabdrücke; versteinert in einer schwarzen Masse. Spuren einer Zukunft, die sich im Entstehen befindet. Formal scheinen diese Reliefs archäologischen Ausgrabungen entsprungen und zeugen von einer einstigen Existenz des Menschen. Sie entstammen unseren Körpern, die allein noch in ihrer Negativform Präsenz zeigen. Sie verweisen auf eine Zeit nach dem Anthropozän, nach der Klimakatastrophe, einer Zeit nach der Herrschaft des Menschen über den Planeten und der Ausbeutung seiner Ressourcen. Als Inspiration für diese Fossilien der Zukunft dienten Klebespuren von Protestaktionen der Aktivistengruppe »Letzte Generation«. Zu wem sie letztlich gehören, egal; was sie zeigen, Verfall; was sie sagen, es ist vorbei, Game over.
Dieser Fragilität massiv gegenübergestellt, ein archaischer Rammbock aus längst vergangenen Zeiten, eine Belagerungswaffe, pures Mittelalter, simpel, brutal, brachial.
Eingebettet in eine kleine Hütte aus verbranntem Holz, baut sich eine nahezu unerträgliche Spannung auf, eine potentielle Energie, die sich plötzlich entlädt, und einen Zyklus an aufgestauter Gewalt lostritt. Endlos, immer weiter vor sich her brodelnd, mechanisch, die gleiche Strategie, das gleiche stumpfe Ergebnis. Unaufhaltsam, in unsteten Intervallen, die Choreografie eines Kampfes, dessen Ausgang und Ziel offen bleibt, eine Zerreißprobe.
Home Sweet Home steht da in kitschig geschwungenen Lettern drauf. Das vermittelt etwas Heimeliges, wunderschön in Vertrautem erstarrt, ein wohliges Gefühl der Selbstgenügsamkeit, eine Illusion. Da ist eine Bastion vor dem, was nicht ins eigene tradierte Konzept passt, vor jeglicher Veränderung, ein Schutz; und gleichzeitig Inbegriff der Zerstörung.
Hört genau hin, hört die Vorboten, die allerorts Strukturen bedrohen. Die sie aus den Angeln reizen, eine Attacke nach der nächsten. Macht sich da ein Gefühl von Angst breit?
Wir fühlen uns in einer Zeit des Auseinanderdriftens, voller Verwerfungen, die aufzubrechen drohen. Sozialer Zusammenhalt und Empathie weichen zunehmend Empfindlichkeiten. Der Empfindung, sich in einer tief gespaltenen, in ideologischen Kämpfen ermatteten Gesellschaft zu bewegen, die Diskurs und Komplexitäten einfach nicht mehr auszuhalten vermag, zum Bersten gespannt.
Time of Monsters sensibilisiert für die Gefühlslage, einer durch Angst und Emotionen (ver-)leiteten Gesellschaft; und fordert Achtsamkeit, ein echtes Erspüren, sich ersten Impulsen und dem Beharren auf der einen eigenen Wahrheit zu widersetzen. Es gilt Resilienzen aufzubauen, reaktionären und zerstörerischen Kräften nicht nur zusehenden Auges zu begegnen, sich zu fokussieren und sich gegen Phobien zu wappnen.
Hört ihr die Monster rufen?
Sven Christian Schuch